Beeindruckend und nachdenklich

– unsere Reise zu den Polen. Ein Epilog von Herrn Große.

Oben im Blog steht das zuletzt, unten das zuerst Erlebte. Daher möchte ich auch die Gedanken in ebendieser Reihenfolge ordnen, natürlich in aller Kürze, das mir Wesentliche.

Niedziela (Sonntag)

Wir sind ganz schön erschöpft von der Reise, eine über 700 km lange Autofahrt ist schon eine Herausforderung an das Sitzfleisch. Im Kopf geht so einiges um. Nicht nur, dass die polnische, mautpflichtige Autobahn im Vergleich zur brandenburgischen A 10 und A 9 leergefegt erscheint: die kulturellen Unterschiede empfinden wir gar nicht so groß, wie zuvor gedacht. Gängige Vorurteile über unsere Nachbarn im Osten der Republik gehören in die Schublade. Unser Eindruck ist sehr positiv, Warschau ist eine sehenswerte, abwechslungsreiche historische und zugleich moderne, saubere Großstadt. Die Vergangenheit ist unfassbar und unbegreiflich, sie ist mit Warschau verwoben und ihr wird an unzähligen Stellen erinnert. Sie ist allgegenwärtig.

Sobota (Sonnabend)

Der Sonnabend ist quasi der Reisegrund. Die Gedenkzeremonie in Treblinka hatten wir zuvor gut vorbereitet. Unser einheitliches Outfit – Korczak-Hoodie, heller Schal mit den Namen der Kinder (Korczak200) und Kippa – gab uns nicht nur äußerlich als Gruppe zu erkennen. Das Verlesen der Namen der ermordeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Waisenhauses verlangt vom eigenen Körper große Beherrschung. Es ist ein innerer Schrei der Wut, der Empörung, der Scham und der Furcht, es ist ein Zittern der Hände, es ist die Gänsehaut bei dem Gedanken, genau jetzt an ebendieser grauenvollen Stelle zu stehen, an der der Welt schlimmstes Kapitel spielte.

Piątek (Freitag)

An der originalen Stelle des Waisenhauses ist heute das Korczakianum. Es gibt immer noch einer kleinen Gruppe Jugendlichen eine Obhut. Im historischen Speisesaal kommt man am großformatigen Wandbild der Waisenkinder nicht drumherum. Zu wissen, alle diese Kinder wurden grundlos ermordet, macht wahnsinnig, traurig und fassungslos.

Czwartek (Donnerstag)

Das Polin, eine Chronologie der Geschichte des Judentums nicht nur auf polnischem Boden, ist eine multimedial gestaltete, ansprechende und erlebnisreiche Ausstellung, die wir per Audioguide durchliefen. Das Kapitel Holocaust führt in gleichem Maße zu Betroffenheit, zu Entsetzen und zu Verstörtheit. Wie konnte das geschehen? Warum konnte all das Gräuel nicht verhindert werden? Beschämt über die Vergangenheit, erschüttert und erschreckt, verstummt man beim Anblick einer jeden „Obwieszczenie“ (dt. Bekanntmachung). Welch Überheblichkeit, welch Arroganz darin steckt, Juden als Untermenschen zu klassifizieren und anhand ihres Glaubens zu stigmatisieren und in extremster Weise zu diskriminieren? „Benutzung dieser Straßenseite für Juden verboten!“, „Personen, die Juden Unterschlupf gewähren, Beköstigung verabfolgen oder Nahrungsmittel verkaufen, unterliegen der Todesstrafe“,  „Juden, die den jüdischen Wohnbezirk unbefugt verlassen […] obliegen der Todesstrafe“ bleiben im Kopf und zermürben.

Środa (Mittwoch)

Unser erster Tag. Wie die Rückfahrt ist auch die Anfahrt eine Herausforderung. Wir sind voller Erwartungen, aufgeregt und gespannt. Wir freuen uns: Schule mal anders. Schule woanders. Mit einem kleinen Abendspaziergang erkunden wir die unglaubliche Skyline Warschaus. So hätten wir es uns nicht vorgestellt. Andere Sprache: selbst kleine Kinder können fließend Polnisch! Andere Währung: alle Preise umrechnen und teilen durch 4,72! Sind unsere beiden Nationen so verschieden? Gibt es Gemeinsamkeiten?

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